Der Bund 2.2.21
Nicole Bachmann kümmert sich als Forscherin wie als Krimiautorin um die Gesundheit der Bevölkerung. Ihr neuer Roman «Schöner Sterben in Bern» lässt in medizinische Abgründe blicken.
Céline Graf
«Ich habe eine hohe Empathie»: Gesundheitspsychologin Nicole Bachmann, die mit ihrer Familie in Bern lebt.
Foto: Franziska Rothenbühler
Ihre Krimiheldin Lou Beck ist zwar Sozialepidemiologin wie Sie, aber Corona kommt im neuen Band «Schöner Sterben in Bern» nicht vor. Erst im nächsten?
Nein. Ich habe diesen Roman vor Corona geschrieben, aber ich hätte die Pandemie auch sonst nicht einbezogen. Langsam bin ich müde von der Situation, ich empfinde sie als belastend. Als Forscherin werde ich mich wahrscheinlich schon mit Corona auseinandersetzen, später. Es gibt viele soziale Fragen, die sich in der Krise verschärft haben. Mich nimmt wunder, ob wir als Gesellschaft etwas daraus lernen werden.
Beispielsweise?
Persönlich schockiert hat mich, wie am Anfang alten und kranken Menschen fast jeglicher Kontakt entzogen wurde und es manchmal nicht mal möglich war, sich von sterbenden Angehörigen zu verabschieden. Soziale Nähe ist derart wichtig für die Gesundheit. Es gibt Hinweise, dass psychische Krankheiten stark zugenommen haben im vergangenen Jahr.
Psychisch trifft es laut einer Studie des Bundesamts für Gesundheit die Jungen am härtesten. Weshalb?
Bei einigen Kindern und Jugendlichen brach der Kontakt zu ihren Freunden ab, als sie nicht mehr zur Schule gehen durften. Nicht alle erlebten es gleich negativ, aber Onlineunterricht und Distanztreffen sind auf Dauer kein Ersatz, weil die non- und paraverbale Kommunikation reduziert ist und der Körperkontakt komplett fehlt.
Man liest, Sie hören Musik zum Abschalten. Was ist Ihre Platte gegen den Krisenkoller?
Wir hören daheim in letzter Zeit viel energiegeladenen Punk, etwa von Nina Hagen. Oder von den Sex Pistols und Billy Idol, den Lieblingsbands meiner beiden Töchter. Sie haben sich einen Plattenspieler gewünscht, und wir sind total begeistert von dem Sound.
Der Berner Bevölkerung ging es gemäss dem letzten, von Ihnen verfassten Gesundheitsbericht im Jahr 2010 mehrheitlich prima. Wo sehen Sie heute Handlungsbedarf?
Schade, dass kein kantonaler Gesundheitsbericht mehr erstellt wird. Etwas, das mir auch ausserhalb Berns Sorgen macht, ist die Ökonomisierung des Gesundheitswesens. Spitäler funktionieren heute vor allem nach einer betriebswirtschaftlichen Logik. Demnach rentieren etwa eine gesunde Geburt oder eine zeitaufwendige Sterbebegleitung schlichtweg nicht. Lou und ihr Freund, der Arzt Philipp, kämpfen für mehr Humanität im Gesundheitswesen. Und «Schöner Sterben in Bern» beleuchtet ein Dilemma von reichen Ländern wie der Schweiz: Wir haben eine enorm hohe Lebenserwartung, und viele möchten so lange wie möglich leben. Aber was ist der Preis dafür? Und wer bezahlt diesen?
«Der Arztberuf wandelt sich: vom Gott in Weiss zum Garagisten, der kaputte Teile flickt und den Motor instand hält.»
Nicole Bachmanns Romanfigur Lou Beck
Der Arzt oder die Ärztin sei heute mehr ein «Abwart» als ein «Gott», stichelt Lou gegen Philipp. Was meinen Sie damit?
So beschreibt es Lou in ihrer provokativen Art. Der Arztberuf wandelt sich: vom Gott in Weiss zur Begleitperson, sozusagen einem Garagisten, der kaputte Teile flickt und den Motor instand hält. Die Patienten sollen dabei mitentscheiden und auf Augenhöhe mit Ärzten sprechen können.
Jenen Ärzten, die Lou verabscheut, geht es mehr um teure Hobbys als um die Menschen. Woher kommt Ihr ausgeprägtes Bewusstsein für Gerechtigkeit?
Schwierig zu sagen. Als Jugendliche war mir das bereits wichtig. Vielleicht hat es damit zu tun, dass meine Eltern aus armen Verhältnissen stammen. Oder dass ich mit den Menschenrechts- und Umweltbewegungen der Nach-68er aufgewachsen bin. Ich habe zudem eine hohe Empathie. Vielleicht ist es einfach eine angeborene Eigenschaft.
Wie stellen Sie vom wissenschaftlichen aufs kreativen Schreiben um?
Das fiel mir am Anfang tatsächlich schwer, da ich immer alles genau erklären wollte. Im Krimi muss man dagegen weglassen können. Inzwischen kann ich automatisch wechseln.
Welche Krimis lesen Sie?
Vor allem intelligente Geschichten, die mir Einblick in fremde Welten und Gesellschaftsstrukturen geben. Fast alles gelesen habe ich vom Südafrikaner Deon Meyer, dem englischen Jockey Dick Francis, der Französin Fred Vargas und der Amerikanerin Marcia Muller.
Hat es Sie nie gereizt, mal eine Erzählung ohne Mord zu verfassen?
Doch, in meinem ersten Hörspiel «Die Bewächter», das ich für Radio SRF geschrieben habe, gibt es keinen einzigen Mord. Nun denke ich an einem neuen Roman herum, über eine alte Frau, die ein anderes Leben beginnt. Aber um mich in diese Schreibweise einzufinden, fehlt mir im Moment die Zeit. Und der Ort: Romane schreibe ich lieber in einem Café oder Hotel, nicht zu Hause.
Der neue Krimi von Nicole Bachmann: Schaudern mit Spoiler Sie sind eine Art sozialwissenschaftliche Robin Hoods des Gesundheitswesens: die Berner Autorin Nicole Bachmann, wissenschaftliche Mitarbeiterin für Gesundheitspsychologie und Sozialepidemiologie an der Fachhochschule Nordwestschweiz, und ihre Krimiheldin Lou Beck. Beide untersuchen, wie gesellschaftliche Kluften und Krankheiten zusammenspielen, mit dem Ziel, beides zu verringern. Lou, Leiterin der Forschungsabteilung am fiktiven Privatspital Walmont, ermittelte zuletzt bei kanadischen Indigenen in einem Umweltskandal («Weites Land», 2018). Im nun fünften Fall «Schöner Sterben in Bern» sucht sie ihre verschwundene Mutter, nachdem diese in einer dubiosen Luxus-Sterbehilfe-Klinik an einer Abschiedsfeier für eine sterbewillige Freundin teilgenommen hat. Die Normalsterblichen werden in medizinische Abgründe bugsiert, die einem das Blut in den Adern gefrieren lassen. Whodunit-Fans werden allerdings das Rätseln vermissen, weil das Ende in einem «Prolog» vorweggenommen wird (überlesen empfohlen) und die Bösewichte bald identifiziert sind. Besser hält sich die Spannung in der Beziehung von Lou zum Arzt Philipp. Denn die Herrscherin über die Spitalstatistiken bleibt ein unberechenbarer Charakter, was hier positiv gemeint ist. (cgr) Nicole Bachmann: Schöner Sterben in Bern. Kriminalroman. Emons-Verlag, 2021. 256 Seiten, 18.90 Fr |
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