Berner Zeitung 9.02.21
In ihrem neuen Krimi beschreibt Nicole Bachmann, wie ein Arzt Sterbewilligen Organe entnimmt und teuer verkauft. Wie realistisch ist das? Mirjam Comtesse.
Nicole Bachmann (57) ist Gesundheitspsychologin und schreibt in ihrer Freizeit Kriminalromane.
Foto: zvg
Frau Bachmann, in Ihrem Krimi kombinieren Sie Sterbehilfe und Organhandel. Was hat Sie dazu inspiriert?
Als Gesundheitspsychologin habe ich mich beruflich mit der Gestaltung des Lebensendes auseinandergesetzt. Dabei bin ich auf einen Juristen gestossen, der sich dafür einsetzt, dass Leute, die Sterbehilfe in Anspruch nehmen, ihre Organe spenden dürfen. So könnte man die riesige Lücke verringern zwischen Patientinnen und Patienten, die jahrelang auf ein Spenderorgan warten, und solchen, die ihren Körper gerne zur Verfügung stellen würden. Doch das ist nicht erlaubt.
Warum nicht?
Weil der Druck auf Sterbewillige zu gross würde. Sie könnten kaum mehr im letzten Moment Nein sagen. Wie sollten sie einen Rückzieher machen, wenn sie jemandem schon ihre Lunge oder ihr Herz versprochen haben?
Und doch mutet es seltsam an, dass Leute, die sterben wollen, Kranken nicht helfen dürfen.
Nur auf den ersten Blick. Das Verbot finde ich absolut richtig. Als ich begann, über Organhandel zu recherchieren, bin ich erschrocken. Auch in Europa gibt es diese Schattenwirtschaft, und es werden grosse Gewinne damit erzielt. Das sind also nicht bloss Schauermärchen. Ein schreckliches Beispiel dafür, wie begehrt Organe sind: In China wird der Vollzug der Todesstrafe jeweils so angesetzt, dass er zeitlich perfekt passt für die Menschen, die auf ein Organ des Verurteilten warten.
In Ihrem Krimi zeigen Sie den Gegensatz auf zwischen Menschen, die viel Geld zahlen, um sterben zu können, und solchen, die alles tun würden, um zu überleben. Was läuft schief?
Das ist natürlich alles fiktiv. In der Realität stammen die Menschen, die ihre Organe zur Verfügung stellen, aus armen Ländern und sind verzweifelt. Und meistens wird ihnen deutlich mehr Geld versprochen, als sie am Ende erhalten. Dazu kommt, dass ihre medizinische Versorgung in aller Regel schlecht ist.
Gibt es Organhandel auch in der Schweiz?
Ich bin keine Expertin auf diesem Gebiet. Aber man kann vermuten, dass auch Schweizerinnen und Schweizer in einer Notsituation bereit sind, illegal Organe zu kaufen.
Wie wahrscheinlich ist es, dass Ärztinnen und Ärzte versuchen, sich dank Organhandel zu bereichern?
International sind solche Fälle belegt, etwa in der Türkei, in Kosovo, in den USA, in Kanada und Israel. Immer wieder fliegen Netzwerke auf. Es müssen sich ja mehrere Berufsgruppen beteiligen, etwa aus der Chirurgie, der Anästhesie, der Pflege und der Spitalverwaltung.
Wie stehen eigentlich Sie als Gesundheitsexpertin zum assistierten Suizid?
Ich finde, es soll diese Möglichkeit geben für Menschen, die unheilbar krank sind und deren Tod absehbar ist. Aus Schweizer Studien weiss man aber, dass es für die Angehörigen oft schwierig ist, damit umzugehen. Ich finde es deshalb wichtig, dass der oder die Betroffene offen mit seinem Umfeld redet und seinen Nächsten die Gelegenheit gibt, sich in aller Ruhe zu verabschieden.
Sie thematisieren in Ihrem Buch den wirtschaftlichen Druck in Spitälern. Was finden Sie besonders gefährlich daran?
Die Anreize gehen in die falsche Richtung. Zum Beispiel werden Gespräche zwischen Ärztin und Patient viel zu schlecht honoriert. Eine Spritze dagegen kann ein Arzt viel besser verrechnen. Das verleitet natürlich dazu, sich eher auf das Bio-Medizinische zu konzentrieren. Dabei sind Gespräche genauso wichtig. Nehmen Sie zum Beispiel einen Patienten, der multimorbid erkrankt ist. Ein Facharzt rät ihm nun zu einer Therapie, die in Widerspruch zu seinen anderen Erkrankungen steht. Vielleicht will der Patient sogar nachfragen, getraut sich aber nicht, weil der Arzt in Eile ist. Das darf nicht passieren. Genauso soll niemand alleine sterben müssen, nur weil niemand Zeit für ihn hat.
So wie es im ersten Corona-Lockdown teilweise geschehen ist. Wieso kommt in Ihrem Krimi rund ums Gesundheitswesen die Pandemie nie vor?
Ich hatte das Buch lange vor der Pandemie fertig geschrieben. Und als Privatperson würde ich mir wünschen, dass Corona endlich nicht mehr unser Leben bestimmt. Da will ich mich nicht auch noch schriftstellerisch damit beschäftigen. Ausserdem ist dies beruflich nicht mein Fachbereich.
Sie sind doch Sozialepidemiologin?
Das verwechseln viele. Ich bin Sozialwissenschaftlerin, nicht Virologin. Ich untersuche soziale Faktoren, die eine Rolle dabei spielen, wie es bestimmten Bevölkerungsschichten gesundheitlich geht.
Wie reagieren eigentlich Ihre Forschungskolleginnen und -kollegen darauf, dass Sie in Ihrer Freizeit populäre Krimis schreiben?
In der Regel gut. Für mich ist es sehr wichtig, diese beiden Welten auseinanderzuhalten. Als Krimiautorin recherchiere ich zwar detailliert, ich nehme mir aber auch die Freiheit, Geschichten zu entwickeln. Im Gegensatz zu meiner sonstigen, datenbasierten Arbeit kann ich hier meiner Fantasie freien Lauf lassen. Das ist es, was mich am Krimischreiben so fasziniert.
Spannend und lehrreich In Nicole Bachmanns neuem Krimi «Schöner sterben in Bern» spielt einmal mehr die Epidemiologin Lou Beck die Hauptrolle. In ihrem fünften Fall macht sie sich auf die Suche nach ihrer verschwundenen Mutter. Dabei stösst sie auf ein grauenhaftes medizinisches Geschäftsmodell. Das ist spannend und einfühlsam erzählt. Im Lauf der Geschichte erfahren die Leserinnen und Leser viel über die Gefahren der heutigen Medizin. Die Autorin ist Expertin dafür – sie arbeitet als Gesundheitspsychologin an der Fachhochschule Nordwestschweiz in Olten. Die 57-Jährige lebt mit ihrer Familie in Köniz. (mjc) Nicole Bachmann: «Schöner sterben in Bern», Emons-Verlag 2021, 256 S., ca. 18 Fr. |
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